Das kleine Mädchen
Taurig sieht es aus in ihm und die Tränen laufen ihm herunter. Die Menschen um ihm herum sehen ein lachendes Gesicht, keine Spur von Nässe aus seinen Augen kommend, keinen Laut des Schmerzes hörend der in seinem Innern tobt. Lange schon hat es die Tränen nach innen geweint. Die Trauerschreie hallen durch seinem Körper: Überlaut, Überall!! Doch nach draußen hin ist es eher ein Flüstern, welches aus seinem Munde kommt, gemessen an dem Schmerzensschrei, der sein Trommelfell von innen her traktiert. Ungehört sind die Scheie, ungetrocknet die Tränen, welche zu einem Meer in ihm zusammen fließen, dort aufpeitschen, sich zu einem Seebeben in ihm zusammen ballen.
Wie lange will es so noch weiter machen? Wie lange ist es noch bereit für andere und vor allem für sich selbst den Spiegelkasper zu spielen?
Sein hartes Herz, kann es denn noch einmal weich werden? Weich werden nach aussen? Denn es war von innen immer weich. Zu weich um sich zu schützen, zu weich um zu brechen! Viel nahm es auf, dieses Herz und es ließ nichts wieder heraus, was erstmal in seinem innern war. Ja, war gar nicht fähig, wieder heraus zu lassen und füllte und füllte sich, ohne wieder abgeben zu können. Das kleine Mädchen fragte sich, "an wen soll ich denn abgeben, wer nimmt mir denn den Schmerz in meinem Herzen?" Es fand keine Antwort und ließ es weiterhin zu,dass sein Herz sich füllte. Es fing an, sein Herz zu schützen und machte alles, dass niemand ihren "Schatz" sehen oder gar stehlen könne. Es umzäunte es mit Stacheln der Arroganz, ummauerte es mit Steinen der Frömmigkeit, verschüttete es mit Sand des Humors, welchen es vorgab zu haben und umgrub dieses Herz mit einem Burggraben, angefüllt mit Alkohol. So meinte es die Chance zum Überleben zu haben und war auf dem besten Wege, aus seinem Herzen eine Mördergrube zu machen, denn es lebte ja gar nicht, sondern fing langsam an zu sterben. Unaufhaltsam und schleichend vergiftete es sein Herz, seinen Körper. Den Warnungen der Menschen, die es gut mit ihm meinten, konnte es nicht glauben und es wollte auch nicht deren Wahrheit folgen, denn schon sehr oft waren es die ungeheuerlichsten Lügen gewesen, welchen es folgte und dabei betrogen wurde. So kamen auch die gutgemeinten Ratschläge nicht mehr zu seinem Herzen durch, sondern waren eher ein Grund, um weiter sein Herz zu verbarrikardieren. Um weiter zu sterben. Was sollte es sich waschen oder sich ordentlich kleiden, für wen denn? Ihm war ohnehin egal geworden, was die anderen Menschen über es dachten und sprachen, sagte sich das kleine Mädchen. Doch auch das war wieder eine Selbstlüge. In Wirklichkeit litt es tausend Qualen, weil niemand mehr etwas von ihm wissen wollte. Einsam und verlassen war es und es gaukelte sich vor auch niemanden zu brauchen. Ja dachte sogar, es so besser zu haben. Es bemerkte nicht den Betrug, welchen es seinem Herzen gegenüber beging. Es fing an die Schatten der Nacht zu suchen und freute sich auch noch als es diese fand.Es spielte mit ihnen, machte aus ihnen seine Freunde, die es nie hatte. Alles tat es um ihnen zu gefallen. Die Schatten der Nacht wußten sehr gut, wie sie dem kleinen Mädchen auch noch den Rest seiner Persönlichkeit abgaukeln konnten und schon bald hatten sie es in ihren Klauen. Das kleine Mädchen merkte wohl, das sich etwas veränderte und konnte dieses nicht aufhalten, ja es war schon zu sehr an die Spiele der Schatten gewöhnt und hatte verlernt allein die Nacht zu überleben. Es wurde sich bewußt, das die Schatten der Nacht es zu ihren Spielball gemacht hatten. Nun aber bekam es doch Angst, denn die Schatten der Nacht wollten ihm die Seele stehlen, ihrem Leben ein Ende machen. Auf der Flucht ins Nichts, stürzte das kleine Mädchen und fiel hin. Schon waren die Schatten der Nacht, die Boten des Todes über ihm, schwirrten, wisperten, forderten ihren "Lohn". Verweifelt wehrte das kleine Mädchen sie ab, ohne jedoch sein Herz zu befreien. Schließlich gab es auf, ergab sich seinem unvermeintlichem Schicksal, ließ ab von allem, denn es konnte nicht weiter vor oder zurück.
Und dort war es plötzlich:
Tief aus seinem Herzen, welches verschüttet, vernagelt, zugemauert und schon fast ertränkt war, hörte es das kleine Stimmchen aus seinem Herzen, welches wie aus weiter Ferne, ganz fein und zart, eher wie ein Flüstern oder Säuseln zu vernehmen war und obwohl die Schreie in seinem Innern so laut waren, dass es fast sein Trommelfell zum Platzen brachte, hörte das kleine Mädchen das feine Stimmchen in seinem Herzen, welches rief: "Mach auf! Lass mich raus! Ich will leben!" Das kleine Mädchen wollte nicht auf das Stimmchen hören, versuchte es zu ignorieren, doch das Stimmchen rief unbeirrbar seine Worte. Da errinnerte sich das kleine Mädchen, wie es selbst geschrieen hatte und niemand es zu hören schien. Da wurde es noch trauriger und versuchte sein Herz zu befreien von den selbstaufgezogenen Mauern. Doch das kleine Mädchen hatte nicht mehr die Kraft dazu, die Zäune, Mauern, Bretter und den Graben zu entfernen, da es diese Kraft ja vergeudet hatte um ihr Herz einzusperren. Es hatte sich zu sehr verausgabt und mußte sich eingestehen, "ohne Hilfe schaffe ich das nicht!" So ging es los und sagte diesmal ganz deutlich und laut: "Ich brauche Hilfe!" Es mußte wohl sehr deutlich und bestimmt gesprochen haben, denn es gab Menschen, die dem kleinen Mädchen wiklich helfen wollten, sein Herz zu befreien. Doch das kleine Mädchen war zu ängstlich und zu mißtrauisch den Anderen gegenüber, um ihr Herz aufzumachen, um ihnen den Zugang zu seinem Herzen zu zeigen. Es fing an durch viele Ausgänge zu entschlüpfen oder sich zu verstecken, wenn die helfenden Menschen auf es zugehen wollten. Schritt für Schritt kam es zwar wieder hervor, denn es wußte ja im Grunde, dass es sich nicht verstecken durfte, zumal die Barrikade um seinem Herzen herum anfing dieses zu zerdrücken und dem kleinen Mädchen noch mehr Schmerzen bereitete. So lange und so sehr es sich bemühte allein diese Mauern einzureißen, umso mehr Kraft und Energie verschwendete es und umso mehr Ausgänge lief es, weil es die Hilfe der Anderen als Bedrohung empfand. Die Anderen wurden es bald leid, dem kleinen Mädchen helfen zu wollen und fingen an sich zurück zu ziehen. Als dies das kleine Mädchen merkte, bekam es große Angst und jammerte nur. Es schlug um sich und hätte dabei fast alles zerschlagen, was noch an Hilfe da war, weil es nicht aufhören konnte durch seine Hinterausgänge zu flüchten. Es wollte die Anderen auch durch seine Hinterausgänge mitnehmen und über sie bestimmen, doch weigerten die sich und das kleine Mädchen versuchte es mit allen Tricks sein Vorhaben in die Tat umzusetzen. Nun übte es Gewalt auf die Anderen aus und diese waren in Angst und Schrecken um das kleine Mädchen, welches gar nicht wußte was es tat und gar nicht mehr aufhören konnte mit ihnen um sein eigenes Leben zu spielen. Es versuchte die Anderen so zu reizen, dass diese es garantiert fortjagen würden, was dem kleinen Mädchen nur recht sein konnte, denn nun hätte es ja einen guten Grund, weiterhin sein Herz zu verbauen und einzumauern. Der begonnene Abbruch der Mauern um sein Herz, tat nämlich dem kleinen Mädchen so weh, dass es der Meinung war, die Anderen wollten ihm gar nicht helfen und würden es gar nicht mögen, so wie sie es vorgaben.
Doch es kam alles ganz anders, als es sich das kleine Mädchen in seinem blinden Zorn erdacht hatte. Die Anderen merkten, dass das kleine Mädchen nur Angst hatte und deswegen die Hinterausgänge nicht zugemacht hatte. Zuerst halfen sie ihm dabei einige zuzumachen, damit es nicht mehr entwischen konnte. Zunächst gefiel das dem kleinen Mädchen gar nicht und es tat alles um die Anderen daran zu hindern, doch diese schlugen wieder einen Hinterausgang zu, gerade als es entwischen wollte. So war das kleine Mädcher erstmal gefangen. Doch seltsamer Weise kam in ihm gar nicht das Gefühl des Eingesperrtseins auf, denn als es sich genau umsah, bemerkte es das hinter der Tür, durch die es gerade eben entweichen wollte, das eingentliche Gefängnis war. Den Anderen merkte es jetzt an, dass sie es mochten. Die Sorgen um das kleine Mädchen, welche nun sehr deutlich und real auf ihren Gesichtern stand und die Zuneigung von ihnen ließen das kleine Mädchen endlich die zurück gehaltenen Tränen weinen, die es brauchte um umzukehren. Das kleine Mädchen schämte sich so sehr in seiner Betroffenheit und fragte sich vorwursvoll: "was habe ich nur angerichtet?"
Jetzt hatte es wiklich Angst, weggeschickt zu werden und ihm wurde schlecht bei diesem Gedanken. Die Anderen aber ließen das kleine Mädchen da wo es war und schickten es nicht fort. Sie gaben ihm noch mehr Schutz, indem sie ihm einige Wege verbaten allein zu gehen und gaben ihm Begleitschutz mit. Das kleine Mädchen empfand diese Hilfe, die wiklich notwendig war, nicht als Strafe, sondern war für diese Maßnahme sehr dankbar.
Vor allem aber ist es froh nicht weggeschickt worden zu sein und voller Dank, dass die Anderen ihm weiter geholfen haben die Mauern, Gräben, Zäune und Bretter von seinem Herzen zu reißen................................
Und heute? Heute ist das kleine Mädchen erwachsen geworden und einer von den Anderen, den Helfenden, die ihm einst halfen, geworden. Denn nur so kann es lernen, nie zu vergessen, was es selbst einmal war und wie es sich doch ändern kann. Ja es ist heute eine von denen, die fremde Mauern und Zäune einreißt und dabei selbst darauf achtet, nicht wieder eigene zu errichten.